Pressemitteilung

26. Mrz 2021

KONSEQUENZ AUS DEM AUSTRITT DER TÜRKEI AUS DER ISTANBUL KONVENTION: MAßNAHMEN IN DEUTSCHLAND ENDLICH VORBEHALTSLOS UND TATSÄCHLICH UMSETZEN!

Hannover | 26.03.2021

Die türkische Regierung hat in der Nacht zum Samstag per Dekret den Ausstieg aus der Istanbul Konvention verkündet. Diese Entscheidung ist verheerend für die Menschenrechtslage vor Ort. Die Zunahme an nationalistischen und konservativen Regierungen in Europa (zuletzt in Polen und Ungarn) zeigen, dass der Ausstieg aus der Konvention immer wieder debattiert wird und dass strukturelle Gewalt an Frauen* und Mädchen* charakteristisch für autoritäre Regime sind.

Die Koordinierungsstelle solidarisiert sich daher mit den Frauen*rechtsorganisationen in der Türkei die für ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben für Frauen* und nicht-binäre Personen kämpfen.

Die Istanbul-Konvention ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ und verpflichtet alle staatlichen Stellen (Bund, Länder und die Kommunen) explizit zur Umsetzung der Maßnahmen. Sie kontextualisiert erstmalig strukturelle Gewaltformen und schreibt Gewalt gegen Frauen* und häusliche Gewalt konkret als Verletzung der Menschenrechte, sowie als Form der Diskriminierung fest. Der Konvention liegt daher ein umfassender Gewaltbegriff zugrunde, der Gewalt als alles definiert, was körperliche, sexuelle, psychische oder wirtschaftliche Leiden verursacht oder dazu geeignet ist diese zu verursachen. Dies hat zur Folge, dass Betroffene ihre Klagen direkt auf die Verletzung einer Bestimmung aus der Konvention stützen können.

Die Bunderepublik Deutschland hat die Istanbul Konvention bisher lediglich unter Vorbehalt ratifiziert und dies damit begründet, dass im nationalen Recht bereits genügend Regelungen bestünden. Maßstab für die gesetzliche Verankerung muss es aber sein, die Schutzmöglichkeiten an den Vorgaben der Istanbul-Konvention zu messen und nicht an bestehendem nationalen Recht. Trotz massiver Kritik von vielen Jurist*innen und Fachverbänden hält die Bundesrepublik nach wie vor an diesen Vorbehalten fest. Konkret hat sie einen Vorbehalt beim Artikel 59 Abs. 2 und 3 der Konvention und verwehrt somit, geflüchteten Frauen* und Mädchen* den ihnen von der Istanbul Konvention garantierten Schutz.

Die Koordinierungsstelle begrüßt, dass der Austritt der Türkei von Deutschland und allen demokratischen Staaten auf diplomatischer Ebene kritisiert wird. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth sprach – zu Recht- von einem „Schlag ins Gesicht“ aller Frauen in der Türkei.

Insbesondere in Zeiten der Pandemie ist die Situation von gewaltbetroffenen Frauen* und Mädchen* noch weiter verschärft worden. Das Hilfe- und Unterstützungssystem arbeitet an den Grenzen der Kapazitäten und kann durch die aktuellen Kontakt-Beschränkungen nicht alle erreichen.

Die Koordinierungsstelle fordert deshalb eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Die Versorgungslücken im Hilfesystem müssen geschlossen werden. Darüber hinaus fordert die Koordinierungsstelle eine gesicherte, langfristige und fallunabhängige Finanzierung der Frauen*- und Mädchenberatungsstellen*, Notrufe und spezialisierten Fachberatungsstellen bei sexualisierter Gewalt in Kindheit. Eine Aufstockung der Frauenhausplätze, sowie einen Ausbau der finanziellen Ressourcen für Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit.

Um bei der Kritik an Recep Tayyip Erdoğan glaubwürdig zu sein, muss die Bundesregierung sich eingestehen, selbst zu wenig für den Schutz von Frauen* und Mädchen* zu tun und anfangen die Istanbul Konvention in Deutschland konsequent umzusetzen.