Die Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ und ist seit dem 1. Februar 2018 geltendes Recht in Deutschland. Das Übereinkommen des Europarates ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument und verpflichtet die unterzeichneten Staaten zu umfassenden Maßnahmen in den Bereichen Gewaltprävention, Gewaltschutz, Strafverfolgung, sowie integrativer Ansatz.

Vorbehalte Deutschland:
Artikel 59 der Konvention unterstreicht, dass Frauen* mit Migrations- oder Fluchterfahrung (mit oder ohne Papiere) als besonders schutzbedürftig gelten. Jedoch liegt hier der Fokus nur auf häuslicher Gewalt und umfasst nicht sexualisierte Gewalt. Die Bundesrepublik hat Vorbehalte zu Artikel 59(2) und (3) der Konvention erklärt, so dass die entsprechenden Verpflichtungen derzeit nicht für Deutschland gelten.

Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland auf allen staatlichen Ebenen die Betroffenen von (sexualisierter) Gewalt und Diskriminierungen zu schützen, zu unterstützen, eine umfassende Strafverfolgung der Täter*innen zu gewährleisten, sowie präventive Maßnahmen zu fördern, die (sexualisierte) Gewalt verhindern.

Wesentliche Merkmale der Konvention

Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* ist eine Form von Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung. Der Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt“ umfasst alle Handlungen, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen* führen (können). Besonderes Augenmerk liegt zudem auf häuslicher Gewalt und schließt ebenfalls betroffene Kinder und Männer* mit ein.

Die Konvention ist das erste internationale Abkommen, dass eine Definition von „Geschlecht“ enthält. Im Vergleich zu einem biologischen Ansatz, umfasst dieser Begriff die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als Frauen* und Männer* ansieht. Außerdem wird (sexualisierte) Gewalt als eine Manifestation historisch ungleicher Machtverhältnisse zwischen Männern* und Frauen* anerkannt und unterstreicht den strukturellen Charakter von (sexualisierter) Gewalt. Staaten sind daher aufgefordert, dieser Gewalt umfassend zu begegnen.

Geschlechterstereotypen und Formen der Diskriminierung werden u.a. als Ursache für Gewalt verstanden. Um diesen entgegenzutreten, sollen präventive Maßnahmen unterstützt werden, damit eine Sensibilisierung und Aufklärung durch Medien, Bildung und die Ausbildung von Fachkräften erfolgen kann.

Das Übereinkommen beinhaltet eine Reihe neuer Strafbestände, hierunter weibliche Genitalbeschneidung/ -verstümmelung, Zwangsheirat, Nachstellung, Zwangsab-treibung und Zwangssterilisation.

Ein integrativer Ansatz wird durch die Konvention betont, welcher die Einbindung aller zuständigen Behörden und Unterstützungs-einrichtungen beim Kampf gegen (sex-ualisierte) Gewalt an Frauen* und Mädchen* erfordert.

Umsetzungsdefizite bei Frauenschutzhäusern und Schutzunterkünften

Anforderungen der IK

Artikel 22 IK: Es müssen in angemessener geographischer Verteilung spezialisierte Dienste für sofortige sowie kurz und langfristige Hilfe für Betroffene von Gewalt sowie ihrer Kinder bereitgestellt werden.

Artikel 23 IK: Es müssen die notwendigen gesetzgeberischen oder sonstige Maßnahmen getroffen werden, um geeignete, leicht zugängliche Schutzunterkünfte in ausreichender Zahl bereitzustellen.

Aktuelle Situation in Niedersachsen

Von einer flächendeckenden und zugänglichen Versorgung für von Gewalt betroffene Frauen* und Mädchen ist Niedersachsen noch weit entfernt. Es fehlen nicht nur Schutzunterkünfte. Auch Unterstützungsdienste wie insbesondere Fachberatungsstelen stehen grade in ländlichen Gebieten weder wohnortnah noch mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet zur Verfügung.

Die Schutz- und Hilfestrukturen müssen jedoch nicht nur quantitativ ausgebaut und finanziell abgesichert, sondern auch qualitativ weiterentwickelt werden. Mit dem derzeitigen Stand können von Gewalt betroffene Frauen* und Mädchen* mit erhöhtem Unterstützungsbedarf nicht im Sinne der IK angemessen erreicht werden. Beispielsweise ist nur ein sehr geringer Anteil der Frauenhäuser barrierefrei oder rollstuhlgeeignet und dass obwohl Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen überdurchschnittlich oft von Gewalt betroffen sind.

Umsetzungsdefizite bei der Finanzierung

Anforderungen der IK

Artikel 8 IK: Es müssen angemessene finanzielle Mittel für die Umsetzung von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* bereitgestellt werden, inklusive der von NGO’s und der Zivilgesellschaft durchgeführten Maßnahmen.

Aktuelle Situation in Niedersachsen

Die Finanzierung des Unterstützungssystems in Niedersachsen unterschreitet, den von der IK verlangten Mindeststandard und ist selbst auf dem jetzigen Niveau in keinster Weise gesichert. Auf Fördermittel durch Land und Kommune besteht kein Anspruch, sie sind in aufwändigen Verfahren jährlich neu zu beantragen und meist nicht kostendeckend. Die Vorhaltung und Finanzierung wird den Kommunen als freiwillige Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge zugewiesen. Dies hat zur Konsequenz, dass das Angebot vor Ort nicht nur von der kommunalen Haushaltslage, sondern auch vom guten Willen der jeweils kommunalen Verantwortlichen abhängt.

Umsetzungsdefizite bei Femiziden (Bundesebene)

Anforderungen der IK

Artikel 43 IK: verlangt, dass das nationale Strafrecht unabhängig von der jeweiligen Täter- Opfer Beziehung Anwendung auf die von der Konvention erfassten Taten findet

Artikel 46 a IK: verpflichtet die Bundesrepublik die Strafzumessungsvorschriften so anzupassen, dass strafschärfend berücksichtigt werden kann, wenn die Tötung durch einen Ex Partner erfolgt ist.

Rechtspraxis: Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe wird nach wie vor äußerst restriktiv geprüft und angewendet, wenn ein Mann seine ehemalige Partnerin tötet, weil diese ihn verlassen hat oder verlassen will. Der BGH verneint das Mordmerkmal, wenn die Trennung vom Tatopfer ausgeht. Der Täter würde sich in diesen Fällen „um etwas beraubt fühlen was er behalten wolle“ sodass keine niedrigen Beweggründe vorlägen. Entscheidungen des BGH haben Signalwirkung. So verwundert es nicht, dass Trennungstötungen auch von den Untergerichten viel zu häufig als eine Handlung aus tiefster Vulnerabilität und Emotionalität und nicht als patriarchaler Herrschaftsanspruch an die getötete Frau interpretiert werden. So wird geschlechtsspezifische Gewalt verharmlost.  Justiz und Gesellschaft begegnen Trennungstötungen mit Nachsicht bzw. Strafmilderung.  

Trennungstötungen müssen gesetzlich als Femizid anerkannt werden. Die derzeitige Rechtspraxis ist nicht konventionskonform. Besitzansprüche an Frauen dürfen nicht strafmildernd berücksichtigt werden. Durch gezielte Präventionsarbeit und Fortbildungen muss der Verharmlosung von Trennungstötungen bzw. Femiziden entgegengewirkt werden.

Strafzumessung bei sexualisierter Gewalt durch (Ex-) Partner

Anforderungen der IK

Artikel 43 IK und Art 46 a IK: sind nicht nur auf Femizide, sondern auch konsequent auf Fälle sexualisierter Gewalt durch (Ex-) Partner anzuwenden.

Hat im Vorfeld der des sexuellen Übergriffs oder der sexualisierten Gewalt eine intime Beziehung bestanden beeinflusst das die Strafverfolgung bedauerlicherweise nach wie vor negativ, indem stereotype Geschlechtermythen zum Nachteil der Frauen und Mädchen herangezogen werden. Dabei ist die Gefahr von traumatischen Folgen für das Opfer durch den massiven Vertrauensbruch des vertrauten Menschen ja wesentlich höher. Demzufolge gebietet sich in diesen Fällen eine Strafschärfung.  schwerwiegender Folgen ist bei traumatisierenden Vertrauensbrüchen durch einen Übergriff des zuvor vertrauten oder intimen Partners wesentlich erhöht. So schreibt Art. 46 a IK der Istanbul Konvention vor, bei der Strafzumessung für Taten im Anwendungsbereich der Konvention in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Tatbegehung durch (Ex-) Ehemann oder (Ex-) Partner strafschärfend zu berücksichtigen ist.

Berücksichtigung vorheriger Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren (Bundesebene)

Anforderungen der IK

Artikel 31 IK: Zum einen schreibt Artikel 31 IK fest, dass die Ausübung des Sorge- und Umgangsrechts nie zu einer potenziellen Gefährdung der gewaltbetroffenen Frau oder ihrer Kinder führen darf. Zudem muss im Vorfeld der Entscheidung über den Umgang des Täters mit den Kindern stets die vorher stattgefundene Gewalt mit in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden.

Aktuelle Situation in der BRD

Gesetzliche Lage: Die Bundesrepublik hat diese Forderungen der IK mit § 26 FamFG durchaus gesetzlich genüge getan. Demnach muss vorherige Gewalt im Sorge- und Umgangsverfahren Berücksichtigung finden.

Rechtspraxis: Vor allem in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren wird deutlich, dass Behörden und Gerichte die Wirkweise von psychischer Gewalt durch die Auswirkungen des Miterlebens sog. häuslicher Gewalt auf Kinder oder der Ausnutzung des Umgangsanspruchs durch Täter zur Erzwingung eines Kontakts mit der Mutter nicht ausreichend berücksichtigen.

Dies steht im eklatanten Widerspruch zur IK welche explizite eine angemessene Berücksichtigung der vorherigen Gewalt- und Beziehungsmuster sowie Vulnerabilität betroffener Frauen bei der Ermittlung des Kindeswohls im Umgangsverfahren fordert.

Die IK verpflichtet die staatlichen Organe der Bundesrepublik dazu sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- und Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Gewaltopfers oder der gemeinsamen Kinder gefährdet. Beschlüsse wie die des KG v. 23.12.2020- 16 UF 10/20 in dem das Gericht aufgrund von vorangegangener Gewalt das Umgangsrecht des Vaters auf mehrere Jahre ausschloss, weil die konkrete Gefährdung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Mutter gleichwohl als Kindeswohlgefährdung angesehen wurde, müssen zur Regel anstatt zur Ausnahme werden. 

Wie wird die Umsetzung der Konvention überwacht?

Wie es für internationale Menschenrechtsinstrumente üblich ist, so wurde ein unabhängiger Monitoring- (Überwachungs-) Mechanismus etabliert, welcher die Umsetzung der Istanbul-Konvention in den Vertragsstaaten überwacht.

Dieser besteht aus zwei Pfeilern:

1. Einem politischen Gremium der Vertragsparteien, zusammengesetzt aus den nationalen Vertreter*innen des unterzeichneten Staates. Einer Expert*innengruppe für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO). Dieser Ausschuss kann in Situationen schwerer oder systematischer Gewalt gegen Frauen auch Eiluntersuchungen vor Ort vornehmen.

2. Einem politischen Gremium der Vertragsparteien, zusammengesetzt aus den nationalen Vertreter*innen des unterzeichneten Staates.